Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (VG) Lüneburg spielt im Bereich des Arbeitszeitgesetzes, also des Arbeitszeitschutzes. Im Arbeitszeitgesetz wird u. a. geregelt, wie lange Arbeitnehmer täglich und wöchentlich maximal arbeiten dürfen, an Arbeitstagen pausieren und zwischen diesen ruhen müssen. Der Fall kam ins Rollen durch eine Kontrolle der Gewerbeaufsicht. Der Arbeitgeber ist ein Speditionsunternehmen, welches sich auf die Überführung von Fahrzeugen spezialisiert hat. Dabei setzt er angestellte Fahrer zu Überführungsfahrten ein. Diese fahren mit der Bahn quer durch ganz Europa zu Abholorten von Fahrzeugen, überführen die Fahrzeuge an den Zielort und kehren dann mit der Bahn an ihren Wohnort zurück. Für diese Bahnfahrten sind sie mit einer Bahncard (1. Klasse) ausgestattet. Die bis zu 12-stündigen Bahnfahrten planen die Arbeitnehmer selbständig. Während der Fahrzeit mit der Bahn müssen sie telefonisch erreichbar sein und bei Planänderungen ggf. umdisponieren. Sie führen ein Firmenhandy, Schutzbezüge zur Nutzung im Überführungsfahrzeug sowie eine mobile Mautbox mit. Ansonsten dürfen sie ihre Fahrzeit nach eigenem Ermessen gestalten, wobei in den Arbeitsverträgen geregelt ist, dass die Zeiten der Bahnfahrt nicht als Arbeitszeit gelten.
Hiergegen schritt die Gewerbeaufsicht ein und erließ eine Anordnung, nach der der Arbeitgeber die Reisezeiten als Arbeitszeiten führen sollte.
Der Arbeitgeber wehrte sich gegen die behördliche Anordnung der Gewerbeaufsicht. Für diese Klage war nicht das Arbeitsgericht, sondern das Verwaltungsgericht zuständig.
Das VG musste sich daher mit der arbeitszeitrechtlichen Einordnung von derartigen Zugfahrten auseinandersetzen. Für den Bereich derartiger Dienstreisen hat die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung eine maßgebliche Unterscheidung herausgearbeitet:
Wegezeiten:
Dabei handelt es sich um Zeiten, die Arbeitnehmer aus eigener Initiative aufwenden, um die Arbeit aufzunehmen. Dabei handelt es sich grundsätzlich nicht um Arbeitszeit.
Reisezeiten:
Dabei handelt es sich um Zeiten, die Arbeitnehmer auf Arbeitgeberinitiative aufwenden, um sich an einem Ort außerhalb ihres gewöhnlichen Arbeitsplatzes zu bewegen. Ob Reisezeiten dabei als Arbeitszeiten gelten, wird im Wege einer Einzelfallprüfung festgestellt, und zwar anhand der vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entwickelten Beanspruchungstheorie. Bislang hat das BAG solche Reisezeiten restriktiv nur dann als Arbeitszeit eingestuft, wenn (potenziell) gesundheitliche Belastungen für Arbeitnehmer ausgehen, wie beispielsweise Autofahrten, bei denen Arbeitnehmer das Auto selbst fahren oder als Beifahrer auf den Verkehr achten müssen. Demgegenüber zählen Reisen mit der Bahn, mit dem Flugzeug oder Taxi nicht als Arbeitszeit, sofern Arbeitnehmer während der Reise keine zusätzlichen Tätigkeiten für den Arbeitgeber erbringen, wie etwa E-Mails bearbeiten oder Präsentationen erstellen.
In seiner Entscheidung hat das VG die Beanspruchungstheorie des BAG nicht angewendet und ist zu der Entscheidung gekommen, dass in diesem Fall die Reisezeit mit der Bahn als Arbeitszeit zu bewerten sei. Es führt aus, dass bei den Bahnreisen als Überführungsfahrer der Arbeitszeitcharakter überwiege. Maßgeblich sei vor allem der Umstand, dass es sich bei den Bahnreisen nicht um Fahrten zu einer festen Betriebsstätte handele. Diese teils sehr langen Bahnreisen führten zu einer maßgeblichen Einschränkung der Freizeit der Fahrer. Außerdem unterlägen die Arbeitnehmer während der Fahrzeiten in vollem Umfange der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers, da sie sich während der Fahrzeit zur Verfügung halten und telefonisch erreichbar sein mussten, um ggf. umzudisponieren, die Fahrt abzubrechen oder einen anderen Kunden aufzusuchen. Sie könnten sich dem „Zugriff“ ihres Arbeitgebers nicht entziehen.
Diese Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf die unglaublich vielfältigen Fallgestaltungen bei der Bestimmung der Arbeitszeit. Zukünftig dürften auch Fallkonstellationen wie der hier vorliegenden eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung nach sich ziehen. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die zuständigen Behörden gerade aufgrund dieser Entscheidung einen strengeren Blick auf die betrieblichen Verhältnisse werfen werde.
Es ist im Ergebnis empfehlenswert, die genauen Reisezeiten, den Grund und die konkreten Reiseanweisungen zu dokumentieren und insbesondere bestehende Arbeitszeitregelungen und -anweisungen dahingehend zu prüfen, ob entsprechende Ruhe- und Arbeitszeiten eingehalten werden. Dann können nämlich unangenehme Verfahren, wie dasjenige bei dem VG Lüneburg, ebenso vermieden werden wie etwaige Bußgelder.
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